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frei-alevitisches Wertesystem

Alevitisches Wertesystem

 

Alevitisches Wertesystem nach dem Selbstverständnis der frei-alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich

Die Vier Tore und Vierzig Instanzen (Tr. Dört Kapı Kırk Makam)

Der Kern des alevitischen Wertesystems nach dem Selbstverständnis der frei-alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ermöglicht jedem Menschen, zu reifen und somit den Yol (Dt. alevitischen Weg) zur Vervollkommnung zu begehen, um seiner Bestimmung auf Erden gerecht zu werden und die Annäherung an Hakk zu erreichen. Jedes Tor hat zehn Instanzen. Ein wesentlicher Teil dieser Instanzen im Alevitentum nach dem Selbstverständnis der frei-alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist der Bestandteil allgemeingültiger Tugenden, die in der Erziehung und Bildung als Richtziele vorgeschrieben sind. Beim Durchschreiten dieser Tore unterstützt ein-e Rehber (Dt. Wegweiser/-in zweiter Instanz) den/die einzelne-n Talip/Muhip (Dt. Schüler/-in / Laie).

1. Erstes Tor Şeriat (Dt. die Ordnung)

Dieses Tor ist lediglich eine äußerliche Voraussetzung für Regeln, die sichtbare Handlungen auf dem mystischen Weg beschreiben. Die zehn Stufen der Ordnung sind wie folgt: 

    1. Ikrar (Dt. Die Initiation in die Gemeinschaft durch das Ablegen eines Gelübdes)
    2.  Ilim, Bilim (Dt. Lernen)
    3. Glaubensritual verrichten (Cem, Fasten, Liturgie)
    4.  ehrliches, legales Einkommen haben
    5. Ausbeutung und Ungerechtes vermeiden
    6. die gegenseitige Achtung von Männern und Frauen
    7. die Ehe suchen (außereheliche Verhältnisse vermeiden)
    8. Fürsorge für andere zeigen
    9.  reines Essen zu sich nehmen und für gutes Ansehen sorgen
    10. Gutes wollen und tun.
2. Zweites Tor Tarikat (Dt. der mystische Weg) 

Das zweite Tor wird durch die Ikrar Cemi (Dt. Initiation/Aufnahme Cem) in die frei-alevitische Gemeinschaft eröffnet. Das Ziel ist, den Sinn des Glaubens zu verstehen und zu erkennen. Die zehn Instanzen des mystischen Weges sind:

    1. sich dem Pir/Mürşit (Dt. geistlichen Lehrer) anvertrauen
    2.  sich dem Lernen hinzugeben
    3. auf äußeres Ansehen verzichten
    4. eigenes Ego bremsen und dagegen kämpfen
    5. Achtung haben
    6. Ehrfurcht haben
    7.  auf Hakk-Hilfe hoffen
    8. sich auf den Weg des Hakk (Dt. der Wahrheit) begeben
    9. gemeinschaftsbezogen sein, Harmonie zeigen
    10. Menschen, Tiere und Natur lieben, schützen und auf weltliche Güter verzichten.
3. Drittes Tor Marifet (Dt. die Erkenntnis)

Das menschliche Bewusstsein führt zur Erkenntnis der wahren Bedeutung der Existenz. Die Freude über diese Erkenntnis und das Erkennen der Schönheit desvarlık (Dt. Existenz), die sich als „Einssein“ von Körper, Emotion, Verstand und Geist offenbart, mündet in Hingabe und Ehrerbietung. In diesem Vahdet-i Vücüt (Dt. Einssein) wird die Selbsterkenntnis zugleich zur Hakk-Erkenntnis, zur Offenbarung des Weges zu Hakk. Die zehn Instanzen der Erkenntnis sind:

    1. sich gut benehmen und anständig sein
    2. ehrenhaft leben
    3. geduldig sein
    4. genügsam sein
    5.  schamhaft sein
    6. freigiebig sein
    7. sich um Wissen bemühen
    8. Ausgewogenheit und Harmonie bewahren
    9. gewissenhaft sein; Fähigkeiten, die nicht (nur) durch die Vernunft zu erreichen sind, sondern durch cangözü/gönülgözüilegörmek (Dt. Seelenblick) entdecken und erreichen
    10. Selbsterkenntnis üben.
4. Viertes Tor Hakikat (Dt. die Wahrheit)

Im Zentrum des alevitischen Glaubens nach dem Selbstverständnis der frei-alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich steht der Mensch als Wesen, das sich selbst und damit Hakk sucht und erkennen will. Die Einbettung von Wissen des Verstands in das emotionale Wissen des Körpers durch die Musik und Bewegung macht aus dem Wissen des Kopfes ein Wissen des ganzen Menschen und der Existenz. In dieser Ganzheitlichkeit, im Einklang von Gefühlen und Körper liegt der Schlüssel zur Wahrheit (Selbsterkenntnis). Die zehn Instanzen der Wahrheit sind:

    1. bescheiden sein; alle Menschen achten und ehren; alle 72 Nationen und Glaubensgemeinschaften als gleichberechtigt anerkennen
    2. an die Einheit von „Hakk, Muhammed und Ali“ glauben
    3. beherrsche dich (Tr. Eline, beline, dilinesahip ol); nicht lügen, nicht stehlen und nicht gewalttätig werden; keine Untreue in der Ehe begehen
    4. Glaube an die Widerspiegelung des Seyr (Dt. des Hakk)
    5. Hakk Vertrauen schenken
    6. Austausch und Freude über die Erkenntnis mit Hakk und seiner Gemeinde eins zu sein
    7. wachsen in dieser Erkenntnis und dabei der Lösung des Geheimnisses des Hakk näher zu kommen
    8. Einklang mit dem Willen des Hakk zeigen
    9. sich ins Nachsinnen über Hakk versenken
    10. das Herz von der Sehnsucht nach Hakk erfüllen zu lassen und Münacat und Müşahede (Dt. das Geheimnis des Hakk lösen)

Die „Vier Tore und Vierzig Instanzen“ sind Werte und Regeln, die zueinander in Beziehung stehen, aber ebenso gleichzeitig einzuhalten und zu fühlen sind. Es ist für die AlevitInnen der frei-alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich eine lebenslange Aufgabe, sich mit diesen Werten auseinander zu setzen und das Ego zu besiegen.

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